Wer pflegt und sorgt im Alter? Immer noch werden 2/3 der Pflegebedürftigen zu Hause versorgt. In der Regel von Töchtern und Schwiegertöchtern, manchmal unterstützt durch professionelle Pflegekräfte. Pflegekassen und Politik fördern diese Variante, denn Frauen, die privat und unentgeltlich pflegen, gelten als günstig; das gilt im gleichen Maße für im Haushalt lebende Haushaltshilfen aus Osteuropa. Und wieder sind es die Frauen, die sich damit aus dem Beruf kegeln, sich aufreiben zwischen Beruf und Fürsorge zu Hause und keine eigene auskömmliche Rente haben werden. Wollen wir häusliche Care-Arbeit also zukünftig bezahlen? Wozu brauchen wir dann noch professionelle Pflegekräfte? Gibt es womöglich einen Zusammenhang zwischen Laien-Pflege und der Geringschätzung der professionell Pflegenden? Was also muss verändert werden, damit gute Pflege möglich wird, damit Alter nicht mit Last gleichgesetzt wird, damit Pflegende nicht (finanziell) abgestraft werden? Was muss geschehen, damit professionelle Pflege als hochqualifizierter Beruf wahrgenommen wird?

Edith Kühnle

Edith Kühnle ist Vorsitzende und Geschäftsführerin des Bonner Vereins für Pflege- und Gesundheitsberufe e.V. und Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Bonn.

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Edith Kühnle

Protokoll

Datum: 29.02.2020
Protokollantin: Frauke Linne

Vortrag

  • Zahlen zu wer möchte von wem wo gepflegt werden:
    • 3,4 mio pflegebedürftige Menschen
    • 76% werden davon Zuhause gepflegt
    • → allein gepflegt 51,7 %, ca. 25% mit Untersützung von einem Pflegedienst,
    • → die Hälfte der pflegenden Angehörigen pflegen schon länger als 3 Jahre, länger als 3 Stunden täglich
      (www.bv-pg.de)
  • Migrantische Pflegekräfte: große Dunkelziffer (ca. 500.000 laut Berechnungen von Prof. Dr. Lutz & ihrem Team)
  • Häusliche Pflege hat Vorrang
  • Innere „Glaubenssätze“:
    • alte Menschen wollen zu Hause alt werden, gepflegt werden und sterben
    • Altenheimen muss man grundsätzlich misstrauen, weil… (z.B. profitorientiert)
    • Kinder – i.d.R. Töchter und Schwiegertöchter nehmen die Pflege alter Angehöriger als fast selbstverständliche Pflicht / Liebesdienst („Sie haben mich     groß gezogen.. ich gebe ihnen nur etwas Dankbarkeit zurück“)  → das haben viele Frauen verinnerlicht
    • Pflege kann jede!
  • Was bedeutet Familiäre Pflege?
    • Verpflichtung (auch egal wie die Beziehung vorher war)
    • z.T über viele Jahre hin weg (aus Liebe)
    • statt Sex (Liebesbeziehung wird zu Pflegebeziehung)
    • Pflege aus finanziellen Gründen
    • → Ja (sonst geht es aufs Erbe), Nein (von Pflege kann frau nicht leben)
  • Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen Cash for Care herrscht
  • am „familienbasierten Pflegesystem“ wird nicht gerüttelt
    (anderes Modell: „servicebasiertes Pflegesystem“, das es in Skandinavien gibt)
    → obwohl familiäre Ressourcen verschwinden (durch Demografie, Berufstätigkeit     von Frauen)
  • viele Frauen gehen in Teilzeit oder ganz aus Berufstätigkeit raus, um zu pflegen
  • für Laien ist die Professionelle Unterstützung eine völlig chaotische Trägerstruktur und die zerstückelten Angebote sind kaum durchschaubar
    → erschweren Unterstützung durch Professionelle Pflegende
  • staatliche Glaubenssätze:
    Angehörige sind wichtige Säule, Alternativen sind  Ehrenamt, Nachbarschaftshilfe, Quartiersbezogen
  • auch die neusten Gutachten basieren auf diesem familienbasierten Pflegesystem
  • das zentrale staatliche Ziel ist Kostenersparnis
  • Pflege kann jede
    → hat Auswirkungen auf die Haltung die man gegenüber professionellen Pflegekräfte hat
    → Ausbeutung der Live-In- Caremigrantinnen (der modernen Mägde)
    → unser Pflegesystem basiert auf Ausbeutung
    Einwurf: zunehmendes vereinzeltes Wohnen ist ebenfalls wichtig mitzudenken
  • Fachlichkeit wird transportiert und nicht wert geschätzt („Pflege aus Liebe“, „mach Karriere als Mensch“-Werbung)
  • Geht es auch anders?
    Bsp. Schweden: servicebasiertes System, Pflege wird als staatliche Aufgabe gesehen, Zuständigkeit liegt bei Kommune, Verhältnis Pflegekraft- Patient 1:7,7 (in D 1:13), einige Pflegekräfte aus D wandern nach Skandinavien aus wegen Geld  & Arbeitsbedingungen
    Professionelle Pflege auf Bachelor-Niveau, es gibt kaum normativen Zwang/ die Glaubenssätze,
    Careangebote von Geburt bis zum Tod ist verlässlich da

Lösungen? Forderungen?

  • gerechtere Bezahlung
  • Dschungel der professionellen Angebote „roden“, leichteren Zugang ermöglichen
  • Kranken- und Pflegekasse als unterstützender Service
  • wir wollen hin zu einem servicebasierten Pflegemodell
    → weg von „cash for care“
  • Staatliche Verantwortung & Finanzierung
  • keine Gewinnmaximierung
  • mehr Hospizplätze
  • Arbeitszeitreduktion: 20-30h- Woche bei vollem Lohnausgleich denn wir brauchen mehr Zeit für Carebeit
  • mehr prof. Pflegemöglichkeiten, mehr Pflegekräfte
  • mehr Gehalt, v.a. für Fachkräfte
  • massiver Ausbau von Tagespflege/Tagesstätten und anderer Infrastrukturen
  • betriebseigene Pflegeeinrichtungen
  • Pflegeeinrichtungen haben Betriebskita
  • gerechtere Arbeitsbedingungen für Betreuerinnen in Privathaushalten & Anlaufstellen & Ausbildung ermöglichen
  • personenzentrierte Pflege
  • es ist okay, professionell gepflegt zu werden

Diskussionen

  • Niederländisches Modell: community-Modell, Ehrenamtliche übernehmen Pflegetätigkeiten, Sparmaßnahmen-Ökonomie
  • Hospiz hat besseres Image als Altenpflegeheime
  • Nancy Fraser: jeder Mensch hat Careverantwortung, Umverteilung von Carearbeiten notwendig, und darum muss auch über Arbeitszeit diskutiert werden
  • Pflege ist gesellschaftliche Aufgabe, momentan ist es eine private Angelegenheit
  • Unterschied Kinder – Alte Menschen: Investition in die Zukunft (Kinder) – keine Investition (Alte)
  • wir müssen diskutieren, was uns das Alter wert ist
  • ehrenamtliche Modelle werden von den Parteien diskutiert
  • vor ein paar Jahren Idee von CDU: „Müttern“geld (cash for care)
  • Gewinnmaximierung muss diskutiert werden
  • Forderungen, die es bereits gibt: keine privaten Träger*innen in der Care-Arbeit, nur Wohlfahrtsverbandsträger*innen, weg von Gewinnmaximierung bei Träger*innen
  • es besteht ein Misstrauen zwischen Angehörigen und Altenpflegekräften
    → in beide Richtungen
    → viele ungeklärte Erwartungen auf beiden Seiten
  • Rahmenbedingungen in der professionellen Pflege verhindern oft das Vertrauen von Seiten der Angehörigen
  • Frage nach Geschlechtergerechtigkeit:
    • eine Klage vor dem europäischen Gerichtshof wäre möglich mit Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit
    • Frauen fühlen sich nach wie vor verantwortlich und es werden mehr Erwartungen an sie gestellt  (Glaubenssätze schaden ihnen)
    • mehr Frauen in der Politik
  • professionell Pflege muss gut werden
  • die Vermittlungsagenturen, die Frauen aus dem Ausland für Carearbeiten vermitteln, sind börsennotiert
  • für die Frauen aus dem Ausland eine Ausbildung ermöglichen im Bereich der professionellen Pflege
  • Gewerkschaften müssen sich um die Gruppe der Caremigrantinnen kümmern