Beitrag von Almut Schnerring und Sascha Verlan.

Ein erster Blick in die offiziellen Zahlen der Agentur für Arbeit oder des Statistischen Bundesamtes zeigt: Weit über 80 % der beruflichen Care-Arbeit in Deutschland wird von Frauen geleistet. Ihr Anteil liegt in Kindertagesstätten bei 96 % und in Grundschulen bei 90 %, private Pflegedienste 87 %, Krankenhäuser und Pflegeheime 85 %, Reinigungswesen 75 % – im Gesamtdurchschnitt sind es 84 %, und in diesen Zahlen sind selbstredend auch die überproportional oft männlich besetzten Führungspositionen mit bedacht, also Männer, die mit der eigentlichen Sorgearbeit kaum mehr betraut sind. 34 % aller berufstätigen Frauen sind im Fürsorgebereich tätig, aber nur 8 % der Männer, selbst hier gibt es also ein Verhältnis von gut vier zu eins. Über 50 % der Frauen im Alter zwischen 30 und 65 Jahren arbeiten in Teilzeit, doch nur gut 7 % der berufstätigen Männer. Und was weiterhin zu beachten wäre, ist die Schattenwirtschaft, in der nicht angemeldete Putz-, Pflege- und Betreuungshilfen tätig sind, Frauen zumeist mit familiären Migrationserfahrungen, manche von ihnen nur befristet im Land, manche, die in keiner Statistik auftauchen und die in ihren Rechten eingeschränkt sind. Das ist der Gender Care Gap in der Berufswelt, eine extreme Ungleichverteilung der Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern also.

Ergänzend dazu wurde im Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung 2017 auf Grundlage der Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamtes der Gender Care Gap in privaten Haushalten berechnet: Im Gesamtdurchschnitt leisten Frauen 52,4 % mehr Familien- und Sorgearbeit als Männer. Gesamtdurchschnitt heißt, dass hier Singlehaushalte und kinderlose Paare mit einberechnet sind, Lebenskonstellationen, in denen verhältnismäßig weniger Care-Arbeit anfällt. Der Zweite Gleichstellungsbericht unterteilt deshalb weiter in direkte, menschenbezogene und unterstützende Tätigkeiten wie Putzen, Rasenmähen, Fahrräderreparieren et cetera. Und es zeigt sich auch hier: Je mehr Fürsorgearbeit zu leisten ist, je körpernäher diese Aufgaben sind, desto gravierender das Missverhältnis, desto größer die Belastung und Verantwortung von Frauen. Im Extremfall, in Familien mit kleinen Kindern, steigt die Diskrepanz im privaten Gender Care Gap auf über 110 % oder alltäglich über zweieinhalb Stunden, die Frauen mehr Sorgearbeit leisten (müssen). Nicht bedacht sind hierbei Familien mit einem oder mehreren Kindern mit Behinderung, auf die öffentliche Einrichtungen und Betreuungsmöglichkeiten oft nur unzureichend vorbereitet sind, die durch jedes Raster fallen und deshalb viel zu sehr auf sich alleine gestellt sind. Und auch Alleinerziehende kommen in der aktuellen Darstellung nur am Rande vor: Ungefähr 2,6 Millionen Alleinerziehende leben in Deutschland, knapp 2,2 Millionen Mütter und gut 400.000 Väter, die mit der Sorgearbeit oft so alleine sind, dass von einem Gap gar nicht mehr zu reden ist.

Der Übergang zwischen privater und beruflicher Care-Arbeit ist fließend, da nämlich, wo Familien private Sorgearbeit auslagern und anderen (Frauen) die Kinderbetreuung, das Putzen oder die Pflege von Angehörigen überlassen. Haushalte, die in der finanziellen Situation sind, besonders viel Care-Arbeit einkaufen zu können, verringern damit ihren privaten Care-Gap, wobei auch in diesen Konstellationen Frauen weiterhin die Hauptlast und -verantwortung tragen. Isoliert betrachtet lassen sich im privaten Bereich also möglicherweise Fortschritte und Erfolge feiern, obwohl sich an der tatsächlichen Aufteilung von Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern gar nichts verändert hat. Der grundsätzliche Gap, der Spalt zwischen den Geschlechtern, bleibt also, er wird nur vom privaten in den beruflichen Bereich oder in die Schattenwirtschaft verlagert.

Die statistische Grundlage für die Berechnungen zum privaten Gender Care Gap bildet die sogenannte Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamtes. Im Vergleich zu älteren Studien wird deutlich, dass die zeitliche Belastung von Frauen durch private Care-Aufgaben zwar abgenommen hat, aber nicht etwa, weil Männer hier mehr Verantwortung übernehmen würden, sondern durch haushaltstechnischen Fortschritt beziehungsweise die zunehmende Auslagerung von Sorgepflichten, und das längst grenzüberschreitend in sogenannten Care Chains – diesen Begriff prägte die Soziologin Arlie Hochschild, um damit zu beschreiben, dass Frauen (und selten Männer), die im Ausland die Fürsorgearbeit übernehmen, in ihren Herkunftsländern eine Lücke bei der Versorgung ihrer eigenen Familie hinterlassen. […]

Die Kommunikation und Auseinandersetzung über Care-Arbeit scheitert oft schon daran, dass zu vielen, vor allem Männern, nicht bewusst ist, was Sorgearbeit bedeutet und im Detail umfasst, weil sie diese als Kind nicht gelernt haben und im Gegensatz zu ihren weiblich gelesenen Geschwistern auch nicht lernen mussten. Für die einen ist Care-Arbeit so selbstverständlich, für die anderen so fern, dass sich beide Seiten der Trageweite und Dimensionen von Sorgearbeit kaum bewusst werden und vieles unausgesprochen bleibt. So wird die Last der Verantwortung, die sogenannte Mental Load, weitgehend ausgeklammert aus den Debatten und Untersuchungen. Sie ist nur schwer messbar und taucht daher nicht auf in der Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamtes oder vergleichbaren Studien. Dabei ist es mehr noch als die messbare zeitliche Einschränkung diese unausgesprochene Mental Load, die es sorgenden Menschen so schwer bis unmöglich macht, sich in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu engagieren, mitzuwirken und teilzuhaben, sei es in Politik, Kultur und Wissenschaft, auf beruflichen und wirtschaftlichen Ebenen. […]

Natürlich steckt in dieser Darstellung auch ein Vorwurf an all jene, die sich bislang wenig in die Care-Arbeit einbringen und Verantwortung übernehmen. Es geht hier jedoch nicht um Schuld! Die Verhältnisse sind so, wie sie sind, und wir alle sind in dieses System hineingewachsen. Vielleicht hätte man•frau schon früher gegensteuern können und sicher wäre es hilfreich gewesen, anders erzogen worden zu sein. Doch der Vorwurf ist in die Zukunft hinein gerichtet: Wer sich heute selbstgefällig zurücklehnt, wider besseres Wissen auf Steinzeit und Gene beruft und behauptet, dass die Frauen ja sowieso nicht abgeben könnten, muss sich für das eigene Nichthandeln rechtfertigen. Denn was jemand nicht gelernt hat als Kind, lässt sich nachholen.

Auszug aus Schnerring/Verlan: Equal Care. Über Fürsorge und Gesellschaft. Verbrecher Verlag 2020, S. 15–30.

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Almut Schnerring und Sascha Verlan

Trainer*innen und Autor*innen-Team der ‘Rosa-Hellblau-Falle’. Initiator*innen der Equal-Care-Day und Vorsitzende des klisch*esc e.V. Gemeinnütziger Verein zur Förderung von Wahlfreiheit jenseits limitierender Rollenklischees.
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