Was hat der Care Gap mit der Klimakrise zu tun?

Gastbeitrag von Angela Häußler.

Auch wenn die Verbindung nicht direkt erkennbar ist: Die gesellschaftliche Gerechtigkeits-Schieflage des Gender Care Gap, bei dem vor allem die Missverhältnisse der Verteilung von Arbeit, Zeit, Geld, Mental Load… zwischen den Geschlechtern im Mittelpunkt steht und die globale Klimakrise, die als massive Gerechtigkeits-Schieflage zwischen den Generationen im Hinblick auf Lebenschancen lautstark von der jungen Generation angeprangert wird, resultieren aus grundlegenden Konstruktionsfehlern der derzeitigen globalen Wirtschaftsordnung.

Um diesen auf die Spur zu kommen eine kurze historische Rückblende in die Zeit der Industrialisierung: Im späten 18. Jahrhundert entwickelte sich mit der Nationalökonomie ein bis heute inzwischen global gültiges Wirtschaftsmodell, das weitgehend auf Marktgeschehen und Erwerbsarbeit reduziert ist. Nach diesem Verständnis ist, etwas vereinfacht, also nur das ökonomisch, was Geld einbringt und in monetären Einheiten, d.h. mit Preisen messbar ist. Aus diesen systemischen Voreinstellungen resultierten mehrere ökonomische und politische Weichenstellungen, die zu den heutigen globalen Schieflagen und Gerechtigkeitsproblemen geführt haben.

Care-Arbeit als ökonomisch unproduktive Nicht-Arbeit von Hausfrauen

Ein wesentlicher Konstruktionsfehler liegt in der Trennung von Produktion und Reproduktion. In der klassischen Ökonomie ist Arbeit nur dann produktiv, wenn sie Marktgüter oder Dienstleistungen hervorbringt, dadurch Geld erwirtschaftet und so einen ökonomischen Wert hat. Reproduktive Arbeit dient in diesen Konzepten bestenfalls der (Wieder-)Herstellung von Erwerbs-Arbeitskraft, hat damit keinen direkten monetären Wert und wird nicht als ökonomische Leistung verstanden. Friedrich List, ein kritischer Ökonom dieser Zeit, brachte das so auf den Punkt „Wer Schweine erzieht ist ein produktives, wer Kinder erzieht ein unproduktives Mitglied der Gesellschaft“ (nach Schäfer 2004).

In diesem Wirtschaftsverständnis ist allerdings nicht vorgesehen und auch in ökonomischem Sinn nicht eingepreist, dass alle Menschen, je nach Lebensphase mehr oder weniger umfangreich, auf Fürsorge und Versorgung durch andere angewiesen sind. Ganz abgesehen von der Bedeutung der Care-Arbeit für individuelle und gesellschaftliche Lebensqualität bleibt damit ausgeblendet, dass die reproduktive Sorge-Arbeit eine entscheidende Grundlage und Ressource für die Wirtschaft nach nationalökonomischen Verständnis darstellt. Sie wird als außerhalb der Wirtschaft verstanden, hat keinen Preis und wird dadurch ökonomisch unsichtbar. Das konnte nur so lange funktionieren, da gleichzeitig die alltäglichen Versorgungsarbeiten unbezahlt an (Haus-)Frauen delegiert wurden. Dies wurde gestützt durch viele gesellschaftliche Prozesse. Die wissenschaftliche Haltung kommt in einem medizinischen Bericht über die Lage von Arbeiterinnen in England zum Ausdruck: „Alle Verdienstmöglichkeit gibt den Frauen einen vulgären Charakter, in ihrer Erscheinung und in ihren Verhaltensweisen, während Abhängigkeit im Unterhalt von dem Mann die Quelle allen bescheidenen und freundlichen Umganges ist“ (zitiert nach Bock/ Duden 1976). Rechtliche Regelungen wie z.B. im Ehe- und Familienrecht des BGB der BRD schreiben die Rolle des Ehemannes als Haushaltsvorstand und der Ehefrau als Hausfrau bis 1957 gesetzlich fest. Noch bis 1977 sah das Gesetz vor, dass verheiratete Frauen nur mit Einverständnis des Ehemannes erwerbstätig sein konnten. John Kenneth Galbraith, einer der einflussreichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, beschrieb in den 1970er Jahren die Verwandlung der Frauen in eine heimliche Dienerklasse des Mannes sarkastisch als eine ökonomische Leistung ersten Ranges. (nach Ohrem, Häußler, Meier-Gräwe 2013). Damit ist Care-Arbeit zwar eine unverzichtbare Ressource für die wirtschaftliche Produktivität moderner Gesellschaften, ohne dass sie in ökonomischen Modellen als Wert oder Leistung erfasst wird. Und da sie nichts quasi ökonomisch nichts kostet, wird sie systematisch ausgebeutet – was sich heute in der Care-Krise, dem Pflegenotstand oder dem Vereinbarkeitsstress von Familien zeigt. Care-Arbeit ist zu einer knappen Ressource geworden.

Die Grenzen des Wachstums – Natürliche Ressourcen werden unter Wert verkauft bzw. verbraucht

In dem Punkt der knappen Ressourcen sind die Parallelen zur Klimaproblematik offensichtlich. Hier liegt der zweite ökonomische Konstruktionsfehler, die Folgen in Form der Klimakrise und anderen Umweltprobleme wie z.B. den Verlust der Biodiversität sind gemeinhin bekannt: Nahezu alle Naturgüter wie fossile Energieträger, Boden, Erze, Wasser, Pflanzen, Tiere… werden als natürliche Ressourcen für die wachstumsorientierte ökonomische Produktion genutzt bzw. ausgebeutet. Außerdem muss die natürliche Umwelt (Luft, Gewässer, Boden) als Senke für Abfallprodukte der Güterproduktion herhalten, ohne dass die natürlichen Regenerationszeiten der Ressourcen in ökonomische Preis- und Kostenmodellen mit einberechnet werden. Durch diese Externalisierung von Kosten wird die Regenerationsfähigkeit der Natur deutlich überstrapaziert. Die jetzige Generation wirtschaftet so auf eine Weise, die den nachfolgenden Generationen die Möglichkeiten nimmt ihre Bedürfnisse unter vergleichbaren Bedingungen zu befriedigen, wie es die Nachhaltigkeitsdefinition des Brundtlandberichts der Vereinten Nationen von 1987 vorsieht. Die ökonomische Diskrepanz zeigt sich auch im Klimapaket der Bundesregierung deutlich, die mit einem zu internalisierenden Preis von 10-35€ pro Tonne CO2 kalkulieren, obwohl umweltökonomische Berechnungen erst bei einem Preis von 200€ eine wirksame ökonomische Steuerungswirkung für den Klimawandel erwarten.

Welche Wirtschaft? Care-Arbeit und natürliche Ressourcen als ökonomische Größen

Dass das aktuell vorherrschende Wirtschaftsmodell, auch wenn es unbestreitbar gesellschaftlichen Wohlstand hervorgebracht hat, problematische blinde Flecken im Sachen Reproduktion und Umwelt hat und hier Umbaubedarf besteht ist natürlich keine neue Erkenntnis. Um beide Größen zumindest als Faktor in gesamtwirtschaftlichen Abläufen sichtbar zu machen wurden Satellitensysteme zu den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) entwickelt. Seit Ende der 1980er Jahre bildet die Umweltökonomische Gesamtrechnung die Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Wirtschaft ab. Dazu werden beispielsweise die Ressourcenentnahme und die Emissionen erfasst, in Geldwerte umgerechnet und innerhalb der VGR dargestellt.

Weniger bekannt ist das Satellitensystem Haushaltsproduktion. Hierfür wird auf Grundlage der etwa alle 10 Jahre stattfindenden Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamtes ermittelt, wie viel unbezahlte Arbeit geleistet wurde und mit dem Faktor des Stundenlohns einer Hauswirtschafterin in einen (fiktiven) monetären Wert umgerechnet (Haushaltsproduktion). Unbezahlte Arbeit ist dabei alles außerhalb der Erwerbsarbeit, was theoretisch von Dritten gegen Geld übernommen werden könnte (z.B. Kochen, Kinderbetreuung, Wäsche waschen). Ziel dabei ist vor allem, den Umfang unbezahlter Arbeit abzubilden und diesen mit anderen gesamtwirtschaftlichen Kenngrößen wie z.B. Marktproduktion zu vergleichen (siehe auch Blog-Beitrag von Uta Meier-Gräwe). Dieses Satellitensystem steht außerhalb der VGR, was mit methodischen Schwierigkeiten begründet wird. Die geringe Wertschätzung der unbezahlten Haus- und Familienarbeiten wird jedoch nicht zuletzt mit der fehlenden Einbeziehung in Wirtschaftsrechnungen begründet. Das führt unter anderem auch dazu, dass die Anliegen der Menschen, die unbezahlte Care-Arbeit leisten, nicht ausreichend in wirtschaftliche Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Vor dem Hintergrund, dass das Bruttoinlandsprodukt nach wie vor als Indikator und internationale Vergleichsgröße für gesellschaftlichen Wohlstand herangezogen wird, ist die Erweiterung um realistische ökonomische Daten/ Preise für die Bereiche Care-Arbeit und Umweltnutzung ein wichtiger Schritt für ökonomische Umbau- und Transformationsprozesse für eine zukunftsfähige Wirtschaftsordnung. Aktuelle Ansätze wie zum Beispiel die Care-Revolution (Winker) oder Wirtschaft ist Care (Prätorius) stellen dabei statt Wirtschaftswachstum Leitbilder wie Lebensqualität und die Befriedigung „tatsächlicher“ menschlicher Bedürfnisse in den Mittelpunkt.

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Angela Häußler

ist Haushaltswissenschaftlerin und Professorin an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg für das Fach „Alltagskultur und Gesundheit“

Ihr Buch „Care Revolution“ ist 2015 im transcript Verlag erschienen.

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Literatur

  • Biesecker, Adelheid; Hofmeister, Sabine (2008). (Re)Produktivität. Nachhaltige Natur- und Geschlechterverhältnisse. In: Widerspruch 28 (54): 111-126
  • Bock, Gisela; Duden, Barbara (1977). Arbeit aus Liebe – Liebe als Arbeit. Zur Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus. In: Gruppe Berliner Dozentinnennen
  • Häußler, Angela (2019). Who cares? Sorgearbeit als individuelle Aufgabe und gesellschaftliche Herausforderung. In: Haushalt in Bildung und Forschung (HiBiFo) 2 (: 41-53
  • Ohrem, Sandra; Häußler, Angela; Meier-Gräwe, Uta (2013). Von der Nationalökonomie zur Care-Ökonomie. Geschlechtergerechte Arbeitsteilung und ihre Bedeutung für nachhaltige Wirtschaftskonzepte. In: Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, S. 227-248
  • Küster, Christine (1991). Leistungen von privaten Haushalten und ihre Erfassung in der Zeitbudgetforschung. Schneider, Hohengehren.